Korruption in Griechenland
4. April 2016Es war eine der hitzigsten und langwierigsten Parlamentsdebatten der letzten Jahre, zumal sich niemand auch nur annähernd an die Redezeit hielt: Acht Stunden dauerte der Schlagabtausch zwischen Linkspremier Alexis Tsipras und der Opposition zum Thema Korruptionsbekämpfung am Dienstag der vergangenen Woche. Welche Bedeutung Tsipras dem Thema einräumt, wurde erst in den darauffolgenden Tagen deutlich: Auf seinen Antrag hin setzt das griechische Parlament erstmals einen Untersuchungsausschuss zu Unregelmäßigkeiten bei der Parteienfinanzierung ein. Auch die frühere Kreditvergabe an Medienunternehmen soll durch das Parlament geprüft werden. Zudem will Tsipras nach eigenen Angaben die Siemens-Affäre neu aufrollen und den 2012 erreichten Vergleich mit dem Münchner Konzern in Frage stellen. Die konservative Opposition kontert mit dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über die Einführung von Kapitalkontrollen im Sommer 2015.
Die Saubermann-Rhetorik ist nicht neu. Schon vor dem Linksruck in Athen im Januar 2015 versprach der damalige Oppositionsführer Tsipras, gegen das "Dreieck der Machtverflechtung", wie er es nannte, vorzugehen: gegen jenen Staat also, der angeblich Druck auf die Banken ausübt, damit sie Kredite an Medienunternehmen vergeben, die sich wiederum mit wohlwollender Berichterstattung bedanken. Um den Knoten zu durchschlagen, verlangte die Linkspartei Syriza damals eine Reform der Medienlandschaft, einschließlich der Neuvergabe aller TV-Lizenzen. Lange Zeit waren derartige Wahlversprechen in Vergessenheit geraten, nun sieht Tsipras die Zeit gekommen für einen Kreuzzug gegen Korruption in Hellas. Nach Auffassung des Politikwissenschaftlers Levteris Koussoulis steckt dahinter jedoch ein politisches Kalkül: "Der Regierung stehen in den nächsten Wochen schwierige Abstimmungen im Parlament über zusätzliche, schmerzhafte Sparmaßnahmen bevor. Davon soll die großangelegte Debatte um Korruption und deren Bekämpfung nach Möglichkeit ablenken", sagt der Athener Analyst im Gespräch mit der DW. Durch ihren Aufruf zum Kampf gegen die Korruption wolle die Regierung Tsipras Zeit gewinnen und die Öffentlichkeit hinter sich scharen, meint Koussoulis.
Sparauflagen in Milliardenhöhe
Ab Montag (04.04.2016) überprüfen Vertreter der Geldgeber in Athen erneut die Umsetzung des Reformprogramms - und werden direkt vor ihrem Nobelhotel von Demonstranten der außerparlamentarischen, linksoppositionellen "Volkseinheit" mit Protestaktionen empfangen. Erst nach einer erfolgreichen Überprüfung der Reformbemühungen dürfen neue Kredite nach Griechenland fließen. Mittlerweile steht außer Frage, dass hierfür zusätzliche Sparmaßnahmen fällig werden. Nur wenige Stunden vor der hitzigen Korruptionsdebatte im Plenum hatte Vize-Finanzminister Jorgos Chouliarakis in einem Parlamentsausschuss bestätigt, dass weitere Steuererhöhungen und Einsparungen in Gesamthöhe von 5,4 Milliarden Euro auf die Griechen zukommen - für die konservative Opposition der beste Beweis dafür, dass der groß angekündigte Kreuzzug gegen Korruption nur ein Ablenkungsmanöver sei. "Herr Tsipras will über Korruption debattieren, damit wir nicht über Arbeitslosigkeit, Überbesteuerung oder Verarmung und auch nicht über die Flüchtlingsfrage, den tragischen Zustand des öffentlichen Gesundheitssystems oder die Demontage des Bildungswesens sprechen", donnerte Oppositionschef Kyriakos Mitsotakis im Parlament.
Auch der linksgerichtete Analyst Michalis Tsintsinis zeigt sich enttäuscht: "Der Ministerpräsident wird keine neue Partitur erstellen. Er hat nun mal keine. Und er wird auch weiterhin nach Ablenkungsmanövern suchen", klagt Tsintsinis in der auflagenstärksten Athener Zeitung Ta Nea.
Für Politikwissenschaftler Koussoulis biete das Sauber-Image dem Premier immerhin einen strategischen Vorteil: In der Vergangenheit habe Tsipras immer Wahlkampf gemacht nach dem Motto "Wir sind die Guten, unsere Gegner sind die Bösen und Korrupten" und damit letzten Endes auch Wahlen gewonnen, gibt der Analyst zu bedenken. Nun wolle der Linkspolitiker den Druck auf die politischen Gegner aufrechterhalten und dabei einen offensichtlichen Mangel an konkreten politischen Inhalten kaschieren. "Wenn Tsipras sich glaubhaft als Saubermann positioniert, dann wird seine Wahrheit aus seiner Sicht offenkundig - als müsste er keine Argumente und keine Beweise mehr liefern", erläutert Koussoulis.
Tsipras hat doch noch recht
Dass die Korruptionskritik des Ministerpräsidenten einen wahren Kern hat, glauben allerdings nicht nur eingefleischte Linkswähler. Beispiel Parteienfinanzierung: Bereits im Herbst 2013 protestierte der wirtschaftsliberale EU-Parlamentarier Theodoros Skylakakis bei der EU-Kommission gegen die Vergabe von neuen Bankkrediten an die damals in Athen mitregierenden Konservativen und Sozialisten. Laut Skylakakis hatten die krisengeschüttelten Kreditinstitute auch noch im Rezessionsjahr 2012, als der Geldhahn für Unternehmensinvestitionen längst zugedreht war, den beiden Volksparteien jenseits aller ökonomischen Vernunft Kredite in Höhe von 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dementiert wurde der Vorwurf nicht. Konkrete Tatbestände sind seitdem allerdings auch nicht bekannt geworden - bei aller Entschlossenheit der Linkspartei im Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft.