Wie kann Sri Lanka die Krise überwinden?
20. Juli 2022Sri Lankas neuer Präsident Ranil Wickremesinghe steht vor der Mammutaufgabe, sein Land aus einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise zu führen. Denn die Wirtschaft der Insel im Indischen Ozean ist zusammengebrochen.
Fehlende Medikamente und Lebensmittel, Rationierung von Treibstoff - die mangelnde Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern hat monatelange Proteste ausgelöst.
Die Regierung in Colombo ächzt unter Auslandsschulden in Höhe von 51 Milliarden Dollar (50 Milliarden Euro) und hat Mühe, die Zinszahlungen für diese Kredite zu leisten - ganz zu schweigen von der Rückzahlung des Kapitals.
Viele Analysten machen für die Krise jahrelange Misswirtschaft und Korruption verantwortlich, darunter große ungenutzte Infrastrukturprojekte, die mit chinesischen Krediten finanziert wurden.
Zu den bekannten sogenannten weißen Elefanten zählen der 350-Meter hohe Aussichtsturm "Nelum Kuluna" bei Colombo und der neue 190-Millionen-Dollar teure Flughafen, der in der Nähe errichtet werden sollte.
Einbruch der Ernteerträge
Zusätzlich wurde die Schuldenkrise wurde durch eine Reihe politischer Fehlentscheidungen der Regierung verschärft. Dazu gehörte unter anderem die geplante Steuersenkung nur wenige Monate vor dem Ausbruch von COVID-19, und eine abrupte Umstellung auf ökologischen Landbau, die zu einem Einbruch der Ernteerträge führte.
Auch der wichtige Tourismussektor musste einen Einbruch hinnehmen: 2018 brachte die Branche dem Land noch 4,3 Milliarden US-Dollar an Devisen ein. Doch die Terroranschläge an Ostern 2019 ließen Reisende erstmals zögern; der Rückgang verschlimmerte sich während der Pandemie weiter. Während der Corona-Pandemie brachen gingen die Einnahmen um fast 80 Prozent zurück.
Die Wirtschaft wird in diesem Jahr nach Schätzungen voraussichtlich um bis zu acht Prozent schrumpfen.
Springt der Währungsfonds ein?
Die erste Priorität für die neue Regierung wird daher die Umstrukturierung der Auslandsschulden sein. Die Verhandlungen über ein Rettungspaket des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) sind bereits im Gang. Auch Kredite von China, Indien und Japan müssen umstrukturiert werden.
Allerdings dürften finanzielle Hilfen an Bedingungen geknüpft sein, darunter die Privatisierung von Staatsbetrieben sowie strengere Sparmaßnahmen. "Der Bevölkerung sind keine weiteren Sparmaßnahmen mehr zuzumuten", sagt Ahilan Kadirgamar, ein politischer Ökonom an der Universität von Jaffna, der DW. "Viele Menschen haben keinerlei Reserven", fügt er hinzu. Fast zwei Drittel der Bevölkerung arbeite im informellen Sektor.
Kadirgamar ist skeptisch gegenüber den traditionellen "Rettungsprogrammen" internationaler Finanzorganisationen. Eine noch höhere Auslandsverschuldung werde sich Colombo vermutlich nicht leisten können, so der Ökonom, da die Kreditkosten für ein Land mit einem schlechten Rating sehr hoch seien.
Angst vor Hungersnöten
Kardirgamar forderte die Regierung auf, die Deviseneinnahmen Sri Lankas - die sich nach seinen Angaben auf 1,3 bis 1,5 Milliarden Dollar pro Monat belaufen - vorrangig für die Einfuhr lebenswichtiger Güter wie Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente zu verwenden. Die Regierung müsse zudem neue Kredite aufnehmen, um weitere Hilfsmaßen zu finanzieren und damit eine drohende Hungersnot abzuwenden, fügte er hinzu.
Die Vorgängerregierung von Präsident Gotabaya Rajapaksa - der nach Singapur geflohen und letzte Woche im Exil von seinem Amt zurückgetreten ist - hat bereits einige der politischen Fehlentscheidungen, die die Krise verschärft hatten, rückgängig gemacht.
Steuersenkungen vom Tisch
So wurden beispielsweise umfassende Steuersenkungen, die 2019 angekündigt worden waren, um das Wachstum anzukurbeln, mittlerweile zurückgenommen. Dies war eine Auflage, um die Bedingungen für den Zugang zu weiteren Krediten vom IWF-Rettungspakets zu erfüllen.
Die ursprüngliche Entscheidung sah laut dem Wirtschafts- und Finanzsender Bloomberg einen Rückgang der Staatseinnahmen um bis zu 800 Milliarden Rupien (2,2 Milliarden US-Dollar) pro Jahr vor.
Nach den Vorgaben des IWF sollen nun Mehrwertsteuer und Körperschaftssteuern angehoben werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass durch diese Maßnahmen die Wirtschaft komplett abgewürgt werden könnte. Dann brächten auch höhere Steuersätze keine zusätzlichen Einnahmen mehr.
"Ich würde sagen, dass die Vorteile [der Steuererhöhungen] zu vernachlässigen sind", sagt Soumya Bhowmick, Associate Fellow am Center for New Economic Diplomacy der Observer Research Foundation in Chennai, Indien, gegenüber DW. "Die zusätzlichen Steuereinnahmen werden nicht zur Stärkung der Wirtschaft, sondern zur Bekämpfung der Nahrungsmittelknappheit und für andere Maßnahmen verwendet."
Ernteausfälle wegen Düngermangel
Ein zweite Kehrtwende gab es beim von der Regierung im November 2021 verkündeten Verbot von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden. Denn durch den verringerten Einsatz von Düngemitteln ging die inländische Reiserzeugung um ein Drittel zurück. Die Teeproduktion - wichtigstes Exportgut und Devisenquelle des Landes - sank um 16 Prozent.
"Durch das Verbot wurden in kurzer Zeit die über viele Jahre hinweg erzielten Produktivitätsgewinne zunichte gemacht", erklärt Bhowmick. Der Wiederaufbau werde viel Zeit in Anspruch nehmen.
Ökonom Kadirgamar sagte der DW, dass viele der zwei Millionen Landwirte Sri Lankas nach dem Fehlschlag "das Vertrauen verloren" hätten und einen "aktiven Anreiz" bräuchten, um ihr Land wieder zu bewirtschaften.
Auch wenn die Landwirtschaft im Hinblick auf das Bruttoinlandsprodukt eine geringe Bedeutung hat, so ist sie doch für die Ernährungssicherheit und den Lebensunterhalt der Menschen von großer Bedeutung", erklärt Kadirgamar.
Rettungsanker Auslandsüberweisungen
Bisher waren die Auslandsüberweisungen der schätzungsweise drei Millionen im Ausland arbeitenden Sri Lanker eine stabile und steigende Einnahmequelle. Doch auch sie sind durch die Pandemie und durch die im vergangenen Jahr eingeführten Devisenkontrollen beeinträchtigt worden.
Normalerweise schicken die im Ausland arbeitenden Bürgerinnen und Bürger Sri Lankas monatlich zwischen 500 und 600 Millionen Dollar nach Hause. Als die Regierung in Colombo den Wechselkurs der Rupie aber auf einen nicht wettbewerbsfähigen Preis festlegte, nahm die Nutzung des informellen "Hawala"-Transfersystems zu und die offiziellen Überweisungen gingen um bis zu 52 Prozent zurück.
"Hawala" ermöglicht es Wanderarbeitern, Bargeld in der Währung, die sie verdienen, an einen Mittelsmann zu überweisen, der sicherstellt, dass die Familie des Gastarbeiters den entsprechenden Betrag in Rupien erhält.
"Wenn die Regierung nicht einen Weg findet, um Anreize für Überweisungen über formelle Kanäle zu schaffen, wird die Zahl nicht mehr auf das frühere Niveau zurückkehren", prognostiziert Kadirgamar.
Experte Bhowmick zeigt sich optimistischer. Die Zahl der Bevölkerung aus Sri Lanka, die im Ausland Arbeit suchen, sei gestiegen. "Ich bin recht zuversichtlich, dass die Überweisungen innerhalb eines Jahres wieder auf ihr normales Niveau zurückkehren werden, wenn die Pandemie überstanden ist", sagte er gegenüber DW.
Adaptiert aus dem Englischen von Astrid Prange.