2021: Das Comeback-Jahr der Airlines?
28. Dezember 2020Es gibt sie noch, die Lichtblicke in einem Jahr, das IATA-Generalsekretär Alexandre de Juniac rückblickend als "Annus horribilis", als Schreckensjahr, für die Luftfahrt bezeichnet. Und diese Charakterisierung ist beinahe noch zurückhaltend. Doch wenn man sucht und tief gräbt, findet man die kleinen Erfolgsgeschichten inmitten der Tristesse.
Zum Beispiel bei Emirates Airlines aus Dubai - stets eine wichtige Branchengröße, vom Erfolg verwöhnt und immer auf Expansionskurs. Nicht so 2020: Monatelang wurde überhaupt nicht oder fast nicht geflogen, zuvor eine unglaubliche Vorstellung, seitdem geht es nur langsam voran. "Im Passagiergeschäft haben wir bisher gerade mal 18 Prozent unseres Vorjahresumsatzes gemacht", erklärt Emirates-Präsident Sir Tim Clark im Gespräch mit DW.
Aber das bringt ihn nicht zur Verzweiflung, denn Emirates hat ein anderes Betätigungsfeld gefunden: Die Luftfracht. Das war bisher nur ein kleiner Nebenerwerb, vor allem durch den Verkauf der Frachtkapazität in den Bäuchen der Passagierflugzeuge. In diesem schwierigen Jahr, wo es kaum Passagierflüge gab, fiel daher auch viel der sonst verfügbaren Frachtkapazität weg. Gleichzeitig wurden viele angestammte Lieferketten unterbrochen durch die Auswirkungen der Pandemie.
Ein Airbus für 40 Tonnen Rohgummi
Emirates reagierte wie viele andere Airlines flexibel und begann, die Sitze der Economy Class aus vielen ihrer Flugzeuge auszubauen und stattdessen auch in der Kabine Fracht zu transportieren. "Unsere Umsätze mit Fracht sind durch die Decke gegangen, wir haben jetzt mit knapp der Hälfte der Flotte schon mehr befördert als mit allen Flugzeugen im letzten Jahr", sagt Tim Clark.
"Viele Faktoren nützen uns: Frachtraten und Passagiertarife sind viel höher und die Spritkosten viel niedriger als vorher. Aber es ist die Fracht, die uns am laufen hält - die macht in diesem Jahr etwa 60 Prozent unserer Einnahmen aus, zeitweise waren es sogar 80 Prozent - im vergangenen Jahr dagegen gerade mal zehn Prozent", erklärt der Chef von Emirates.
Clark schildert ein praktisches Beispiel: Eine Autofabrik in den USA ließ bisher Reifen in Thailand fertigen, dort war aber die Produktion in der Pandemie geschlossen. Das Werk in Atlanta benötigte die Lieferungen trotzdem. Und zwar 'just in time', weswegen Seefracht als Alternative ausfiel. Also charterte man einen Airbus A380 bei Emirates, um 40 Tonnen Rohgummi von Bangkok nach Atlanta zu fliegen. "Wir bekommen derzeit ziemlich bizarre Anfragen für maßgeschneiderte Frachtflüge", berichtet Tim Clark. "Aber für uns war das sehr lukrativ, weil die Top-Dollars bezahlen und es daher sinnvoll war, eine A380 auf die weite Strecke zu schicken."
Schwindelerregend hohe Verluste
Das sind nur kleine Lichtblicke, denn die Lage der Branche, deren Geschäftszweck es ist, vor allem Menschen und erst in zweiter Linie Waren in und aus aller Welt zusammenzuführen, ist gerade so katastrophal wie noch nie. Denn derzeit dürfen und können Menschen überwiegend eben nicht zusammenkommen, egal ob auf lokaler oder globaler Ebene.
Damit ist in vielen Bereichen die Daseinsberechtigung für den Luftverkehr im Jahr 2020 quasi über Nacht verschwunden, und das direkt nach dem Rekordjahr 2019. Statt 4,5 Milliarden Fluggästen damals waren es im aktuellen Krisenjahr nicht einmal die Hälfte, etwa 1,8 Milliarden Flugreisende. Der Rückgang um 60 Prozent bescherte den Airlines weltweit in diesem Jahr nach IATA-Schätzungen Verluste von rund hundert Milliarden Euro.
Das Comeback der Flieger
Wer allerdings derzeit Airline-Chefs nach ihrer Einschätzung für 2021 fragt, hört Überraschendes: verhaltenen Optimismus. "2021 wird ein besseres Jahr", sagt IATA-Chef Alexandre de Juniac, der Lobbyverband rechnet dann global "nur" noch mit 39 Milliarden US-Dollar an Verlusten. "Ich bin mir sicher, dass wir im Laufe des kommenden Jahres einen deutlichen Aufschwung erleben werden", gab sich auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr gegenüber der Wirtschaftswoche positiv gestimmt.
Er geht davon aus, dass seine Gesellschaft nächstes Jahr im Schnitt wieder die Hälfte des Passagier-Niveaus von 2019 wird erreichen können. Anfangs noch darunter, aber "für den Sommer und Herbst kalkulieren wir mit bis zu 70 Prozent", so Spohr.
Auch Martin Gauss, der deutsche Chef von Air Baltic, Marktführer im Baltikum, blickt erwartungsvoll nach vorn: "Ich bin optimistisch dass der Markt wieder anspringt im Frühjahr, ich glaube im März wird unsere Branche zurückkommen, mit welchen Restriktionen auch immer", so Gauss gegenüber DW. "Das wird im Kurzstreckenbereich anfangen, weil da ein großer Nachholbedarf ist an Flügen."
Der Business-Kunde wird zu Hause bleiben
Genauso ausgemacht scheint, dass Urlaubs- und Privatreisende zunächst den Löwenanteil der wieder erstarkten Nachfrage ausmachen werden, während das Geschäftsreiseaufkommen stark an Volumen verlieren wird. Die Beratungsfirma IdeaWorks sieht im besten Fall 19 Prozent und im schlechtesten Szenario 36 Prozent des bisherigen Geschäftsreiseaufkommens für immer verschwinden. Das wäre ein Riesenproblem für die Branche, die bisher gut von den Vollzahlern gelebt und mit ihnen billige Tarife quersubventioniert hat.
Lufthansa-Chef Spohr sieht das weniger dramatisch - er schätzt den dauerhaften Rückgang an Geschäftsreisenden auf zehn bis 20 Prozent, den Anteil der Privatreisenden bei der Lufthansa-Gruppe dagegen von heute schon 75 auf 80 Prozent steigen. Entscheidend ist, dass sich bald einheitliche Regelungen durchsetzen bei den globalen Einreisebestimmungen, hier setzt die Branche stark auf die kommenden Impfungen.
So geht auch Spohr davon aus, dass Langstreckenflüge künftig wohl nur mit einem negativen Corona-Test oder einem Impfnachweis möglich sein werden, bis die Weltbevölkerung eine ausreichende Immunität erreicht habe. Die australische Airline Qantas hatte schon im November verkündet, sobald es einen Impfstoff gebe, würde sie eine Impfpflicht für Interkontinentalflüge einführen.
Die IATA hat eine einheitliche App Travel Pass vorgeschlagen, auf der für jeden Reisenden individuell Testergebnisse und Impfnachweise gespeichert würden. Tim Clark, nach über 35 Jahren bei Emirates eine Legende der Branche, ist sich sicher: "Wir werden unser Streckennetz wieder zu altem Glanz zurückführen. Die Weltwirtschaft ist enorm widerstandsfähig, hat in der Vergangenheit gewaltige Rückschläge eingesteckt und ist immer wieder zurückgekommen. Und gerade dieses Zurückkommen wird unser Geschäftsmodell stärken, Passagiere über ein zentrales Drehkreuz wie Dubai zu führen."