Zivilschutz: Braucht Deutschland neue Schutzbunker?
7. Juli 2024BSSD Defence heißt das Berliner Unternehmen, das sogenannte Schutzraumsysteme für private, geschäftliche und militärische Anwendungen herstellt. Im Angebot: Sicherheitsausrüstungen für den Hausgebrauch, Panikräume für rund 20.000 Euro und sogar vollwertige Bunker für fast 200.000 Euro. Das Geschäft läuft prächtig, die Firma kann sich vor Aufträgen kaum retten.
Mario Piejde, der technische Leiter von BSSD, sagt der DW, das Unternehmen habe in den letzten Jahren vermehrt Anrufe von Privatpersonen, Feuerwehren und Kommunen erhalten. Mit der COVID-19-Pandemie ging es los, dann kam noch der russische Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 dazu.
"Es gibt regen Bedarf, und reges Interesse. Niemand hätte doch erwartet, dass in Europa noch ein konventioneller Krieg geführt wird, aber die Geschichte wiederholt sich immer wieder, leider. Die Leute, die sich mit dem Thema schon vorher beschäftigt haben, sagen nun: Ok, jetzt brauchen wir einen Schutzraum."
Keine funktionierenden Bunker mehr in Deutschland
Auch die Politik treibt mittlerweile das Thema Bunker um. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der die 14.000 Kommunen des Landes vertritt, hat die Bundesregierung aufgefordert, in den nächsten zehn Jahren zehn Milliarden Euro in den Zivilschutz zu investieren - und damit die 2000 Bunker aus der Zeit des Kalten Krieges wiederzubeleben.
Das wäre kein leichtes Unterfangen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) teilte der DW mit, dass nur noch 579 dieser Bunker als öffentliche Schutzräume ausgewiesen sind.
Sie würden Platz für rund 478.000 Menschen bieten – also gerade einmal 0,56 Prozent der deutschen Bevölkerung. Und selbst diese Bunker seien "weder funktionstüchtig noch einsatzbereit", nachdem das frühere Bunkersystem im Jahr 2007 aufgegeben wurde.
Ein neues Bunkerkonzept, so das BBK, sei in Planung. Der Schutz der gesamten deutschen Bevölkerung würde laut einem Bericht der Bundesregierung allerdings 210.100 zusätzliche Bunker erfordern. Geschätzte Kosten: mehr als 140 Milliarden Euro. Voraussichtliche Dauer: 25 Jahre.
"Die Bauarbeiten zum Schutz der Bevölkerung wurden in den letzten Jahren sicherlich vernachlässigt", sagte Piejde. "In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich an der Konstruktion aber nicht viel geändert. Es gibt eine bestimmte Stärke der Wände und Filtersysteme. Das Einzige, was anders ist, ist die Stromversorgung und die Effizienz der Batterien".
Vergleich zum Zweiten Weltkrieg nicht mehr zeitgemäß
Hans-Walter Borries, Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sicherheitsstudien FIRMITAS an der Universität Witten in Westdeutschland, bezweifelt jedoch, dass Bunker im Falle eines Krieges zwischen NATO und Russland tatsächlich von Nutzen wären. So verfüge Russland heute über Hyperschallraketen, die von Kaliningrad aus in zwei bis fünf Minuten praktisch jede europäische Stadt erreichen könnten.
"Es ist nicht mehr wie im Zweiten Weltkrieg, als Bomber aus dem Raum Hannover nach Berlin flogen. Und es eine Vorwarnzeit gab, Menschen also 15 bis 20 Minuten Zeit hatten, einen Bunker aufzusuchen", sagt Borries, der auch Oberst der Reserve bei der Bundeswehr ist, der DW. "Mit den heutigen Reaktionszeiten können sie keine Bevölkerung mehr warnen."
Die Bundesregierung hat dieses Problem durchaus erkannt. Im Kriegsfall würden große zentrale Bunker viel weniger nützen als dezentrale Schutzräume in Wohngebäuden, heißt es in dem Regierungsbericht. Deshalb will die Regierung den Bürgern empfehlen, sich mit billigem und leicht verfügbarem Baumaterial zu versorgen und in ihren Kellern Schutzräume zu bauen.
Geld im Katastrophenschutz besser angelegt?
Hans-Walter Borries hält wenig von diesen Plänen, allein schon aufgrund der riesigen Zerstörungskraft von aktuellen Atomwaffen. "Die Wirkung ist nicht mehr mit der von Hiroshima oder Nagasaki vergleichbar", sagte er. "Die heutigen Raketen mit atomaren Sprengkörpern würden ausreichen, die gesamte Bundesrepublik Deutschland mit neun bis zwölf Raketen komplett auszulöschen."
Bunker, die einem solchen Angriff standhalten könnten, müssten Tausende von Metern tief in den Schweizer Alpen vergraben werden. Statt Milliarden in den Bau eines Bunkernetzes für den Kriegsfall zu investieren, sollten die Regierungen deshalb lieber in den "normalen" Schutz der Bevölkerung investieren, so Borries.
Dies könnten Warnsysteme für Katastrophen sein, insbesondere für Naturkatastrophen wie die Überschwemmungen, die Deutschland in letzter Zeit erlebt hat, und eine bessere Ausbildung für Katastrophenhilfsorganisationen.
"Das heißt, Geld für Ausbildung, Übungen und moderne Ausrüstung", sagt der Sicherheitsexperte. "All das wäre sinnvoller, als sich diese Endzeitszenarien auszumalen, in denen man im Grunde sowieso nichts machen kann."
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.