Kreatives Potential in Berlin
21. Januar 2015Vor etwa sechs Monaten bekam ich eine Anfrage. Die Journalistin einer deutschen Tageszeitung suchte Hintergrundinformationen, vielleicht ein Statement, für einen Artikel über Berlin und Mode. Sie gehe davon aus, so erklärte sie mir, dass Berlin den Sprung in die Liga der Modehauptstädte nicht geschafft habe.
Verstärkt wurde der Eindruck der Kollegin von Plänen der internationalen Modefachmesse für Street und Urban Wear "Bread & Butter" – Teil der zweimal jährlich stattfindenden Berliner Modewoche –, von Berlin nach Barcelona zu ziehen. Und große Marken wie Hugo Boss und Escada hätten der Modewoche den Rücken gekehrt. Ich teile die Ansicht der Kollegin allerdings nicht im Geringsten und habe ihr deshalb auch kein Interview gegeben.
Die vielgerühmte Messe für Alltagsmode "Bread&Butter" hat zwar Insolvenz angemeldet, ist aber dennoch diese Woche mit einer Pop-Up-Version in Berlin vertreten. Und dank der neuen Plattform "Berliner Modesalon" mit 18 deutschen Designern und Labels nimmt die Fashion Week richtig an Fahrt auf.
Die Bandbreite der Designer, die ihre Kollektionen im altehrwürdigen spätklassizistischen Kronprinzenpalais zeigen, reicht vom Münchener Kaschmir-Label Allude über Bondage-Schick zur Berliner Newcomerin Marina Hoermanseder. "Das Zelt ist toll", lobt Designer Hien Le die Location. "Aber chaotisch wie ein Zirkus."
Berlin hat das gewisse Etwas
Das "ZEIT-Magazin" und die deutsche Vogue nutzten das Palais am Montag für ihre erste gemeinsame Konferenz zu Mode und Stil: "Warum brauchen wir die Modestadt Berlin?" Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp und Tillmann Prüfer, Style-Direktor des Zeitmagazins, nahmen die deutsche Hauptstadt unter die Lupe – und wiesen Kritiker der Fashion Week in ihre Schranken: "Die größte Kritik kommt von Leuten, die noch nie eine Modenschau gesehen haben."
Im Rahmen der Konferenz gab Arp auch die Gründung des "German Fashion Design Council" (GFDC) bekannt. Der Zusammenschluss renommierter deutscher Modeexperten und hochrangiger Vertreter der Mode- und Kreativbranche soll sich gemeinschaftlich "für deutsches Design stark machen."
Sommerkleider, die Zweite
Im Zelt drängelten sich zur Eröffnung Horden von Paparazzi und Fans, um einen Blick auf internationale Stars wie Elizabeth Hurley und Katie Holmes zu erhaschen, als Blickfang auf Einladung großer Mode-Labels zu Gast.
Die Eröffnungsshow sorgte nicht nur für Hingucker, sondern auch für Irritationen. Die New Yorker Designerin Charlotte Ronson zeigte dem in Pelz und Stiefeln verpackten Publikum Sommerkleidchen und Shorts der Vorjahreskollektion. Da entsprach die Herrenmode der Berliner Designer Ivanman, Sopopular and Sadak und Nian aus der Türkei eher den Berliner Temperaturen.
Am Mittwoch zeigte die Berliner Designerin Esther Perbandt, seit einem Jahrzehnt im Mode-Business, ihre aktuelle Kollektion; genauso wird man sich überraschen lassen von Newcomer-Designern "Use Unused" aus Ungarn, "Paper London" aus Großbritannien und "Whitetail" aus Finnland.
Ein Trend zeichnet sich schon ab: der Falten- und Plissee-Look. Kleider und Röcke mit Plissees sind in, und Männer tragen lange Hemden und Tuniken. Orange wird nächstes Jahr DIE In-Farbe.
"Modewochen müssen uns überraschen", meint Christiane Arp. Und genau das tut die Berliner Modewoche.